La Tempesta – Der palästinensische Zwischenfall im Globalen Krieg

Hier die deutsche Übersetzung der Broschüre La Tempesta – Der palästinensische Zwischenfall im Globalen Krieg der Vollversammlung Sabotiamo la Guerra. Im Folgenden die Einleitung zur deutschen Ausgabe, die komplette Broschüre findet ihr hier.


Der Wind des Krieges weht immer stärker, und je mehr Monate vergehen, desto mehr scheint sich die Weltlage unwiederbringlich in Richtung Globalisierung des Krieges zu entwickeln. Die empfindlichen geopolitischen Gleichgewichte werden bewusst und in böser Absicht von skrupellosen Machthabern untergraben, die wie üblich keine Rücksicht auf diejenigen nehmen, die gezwungen sind, ihre Entscheidungen an ihrer eigenen Haut zu tragen. Von dem Zeitpunkt, an dem die Texte in dieser einzelnen Ausgabe von den Genossen und Genossinnen der Sabotiamo la guerra-Vollversammlung verfasst wurden, bis zum Zeitpunkt, an dem sie durch den Verfasser dieser Einleitung übersetzt wurden, sind einige Monate vergangen. Nicht Jahre oder Jahrzehnte. Tatsächlich weniger als ein Jahr. Aber wie wir alle wissen, wartet die Geschichte nicht auf unsere Analysen.

Der westliche Block und alle seine Unterstützer versorgen die ukrainische Armee weiterhin mit Nachschub und Waffen aller Art, und nach einer langen Zeit des Stillstands, nach dem Eintreffen einer riesigen Menge an Finanzmitteln und Ausrüstung, nachdem die USA grünes Licht für den Einsatz amerikanischer Waffen auf russischem Gebiet gegeben hatten, begann die Gegenoffensive der Kiewer Armee, der es sogar gelang, in der Region Kursk in feindliches Gebiet vorzudringen. Jetzt, zwischen Putins Drohungen mit der nuklearen Apokalypse und Zelenskys hochtrabenden Proklamationen, zwischen abwegigen Ankündigungen thermobarischer Raketenangriffe (halbtonnenschwere Sprengkörper, die buchstäblich die Luft mit einem riesigen Todesstrahl und Verwüstung in Brand setzen können) auf russischer Seite und lautem Jubel über erfolgreiche Bombardierungen der russischen Regionen Kursk und Belgorod auf ukrainischer Seite, inmitten all dessen bleiben die armen Menschen, die Unterdrückten, die gezwungen sind, sich perfiden Machtspielen zu unterwerfen. Gezwungen zur Rekrutierung auf beiden Seiten der Front. Menschen, die auf der Straße gefangen genommen, eingesperrt und in den Tod geschickt werden, im Namen des„demokratischen“ Vaterlandes. Gefangene, die aus den Zellen geholt und mit einem Einwegticket an die Front geschickt wurden, um im Namen der „Entnazifizierung“ für ihre Sünden zu büßen.

In der Zwischenzeit gehen die Ereignisse an der anderen heißen Front ununterbrochen weiter und degenerieren immer mehr.

Die israelische Regierung setzt ihr Werk der Ausrottung und ethnischen Säuberung auf palästinensischem Gebiet fort, und gleichzeitig führt der Mossad, der einzige Geheimdienst, der, wie historisch erwiesen, keinem internationalen Verhaltenskodex unterworfen zu sein scheint, traditionsgemäß waghalsige Pläne zur Eliminierung von Feinden auf fremden Territorien durch, derzeit insbesondere im Libanon und im Iran. Aber andere Feinde werden in Qatar beherbergt, andere haben im Laufe der Geschichte Zuflucht in Russland, in der Türkei, um nur ein paar zu nennen, gefunden. Wie weit er gehen wird, ist daher ungewiss. Hinzu kommen die Bombardierung von Konsulaten in Syrien und die Eskalation am Roten Meer. Wenn auf jede Aktion auch eine Reaktion folgt, so steht doch fest, dass diese abenteuerliche israelische Außenpolitik und die des gesamten westlichen Blocks, der sie unterstützt, die geopolitische Lage in Westasien (und darüber hinaus) eindeutig verändert und drastische Auswirkungen auf die Ausweitung des Konflikts und mögliche neue Allianzen haben kann.

So wie sich das Gleichgewicht in der Welt verändert und der Kampf zwischen den Blöcken sich verschärft und komplizierter wird, so sind auch diejenigen, die einfach nicht die Klappe halten und den Kopf einziehen wollen, Tag und Nacht auf der Straße aktiv. In Deutschland, in Frankreich, in England hat es viele Aktionen gegen die Komplizen des Krieges gegeben. In Berlin werden seit Monaten Aktionen gegen die Sitze der SPD-Sozialdemokraten und der Grünen durchgeführt. Viele Unternehmen, die große Geschäfte mit dem Krieg machen, wurden angegriffen, wie Tesla, CEMEX, Bauer, Thyssenkrupp, die Deutsche Bahn, Thales, und wir könnten weiter und weiter gehen. Institutionen wie die ZUG und der Deutsche Bundeswehrverband wurden im Mai beschädigt, ganz zu schweigen von dem Brandanschlag auf das Rathaus Berlin-Tiergarten, an dessen Fassade die Parole «Brennt Gaza, brennt Berlin» hinterlassen wurde. Jeden Samstag, quasi seit Beginn dieser jüngsten Operation zur Ausrottung der palästinensischen Bevölkerung, versammeln sich viele Menschen im Neuköllner Kiez (wo türkische und arabische Präsenz auffällig ist), und nicht selten kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und der Polizei. Das ist keine Kleinigkeit in der heutigen Zeit, in der die Konflikte auf den Straßen fast überall in Europa auf einem Tiefpunkt angelangt sind, außer vielleicht in Frankreich, wo die Gemüter immer wieder aufflammen und selbst dort die Beteiligung des Proletariats arabischer Herkunft eine nicht unbedeutende Rolle spielt.

Angesichts all dessen und der kontinuierlichen Entwicklung des Krieges sind wir davon überzeugt, dass unsere Analysen jene Elastizität aufweisen müssen, die für das Verständnis und die Vertiefung der Realität in ihrer fortwährenden Entwicklung unerlässlich ist. Nicht mit dem Ziel, am Lehrpult zu stehen und Geschichtsunterricht zu erteilen, sondern mit der Absicht, die Debatte zu erweitern, sie zu entwickeln, zu aktualisieren und in die Praxis umzusetzen. Indem wir uns im revolutionären und internationalistischen Sinne in die Fragen einmischen, mit denen wir alle als Unterdrückte in dieser historischen Phase konfrontiert sind.

Als Anarchistinnen und Anarchisten halten wir es für wesentlich, den Fragen auf den Grund zu gehen und vermeiden es, bei oberflächlichen und simplifizierenden Interpretationen des Existierenden stehen zu bleiben. Wir sind misstrauisch gegenüber allen, die uns reduktive und dichotome Visionen der Realität aufzwingen wollen, seien es institutionelle Autoritäten oder antagonistische Strukturen (dennoch finden wir es interessant festzustellen, wie sehr die Herangehensweise an bestimmte Fakten, die von diesen beiden scheinbargegensätzlichen Entitäten vertreten wird, fast identisch ist). Wir sind davon überzeugt, dass in Krisensituationen, wenn sich die Probleme, mit denen man konfrontiert ist, verschärfen, makroskopisch werden, die Töpfe zum Kochen kommen und es leichter wird zu verstehen, auf wen man sich verlassen kann und auf wen nicht. Die einzige Dichotomie, die wir akzeptieren, ist diejenige, die die Welt in Unterdrückte und Unterdrücker, in Ausgebeutete und Ausbeuter unterteilt. Wir erkennen keine „ Notwendigkeit“ an, die ein – auch nur vorübergehendes – Überschreiten dieser Trennungslinie rechtfertigen könnte. Wir lehnen jede Form des Interklassismus und der Einheitsfront im Namen eines vermeintlich geringeren Übels ab. Die Geschichte hat uns gezeigt und zeigt uns immer wieder, wie antagonistische Kreise, die sich bewusst oder unbewusst auf diesen rutschigen Abhang begeben, nichts anderes tun, als der Macht zu dienen und zu nützlichen Idioten im Dienste der Herrschenden, der konterrevolutionären Kräfte (ob demokratisch oder autoritär) und der Rekuperation zu werden. Denjenigen, die uns Dogmatismus vorwerfen, antworten wir ganz pragmatisch, dass wir nichts mit denen zu tun haben wollen, die sich dafür entscheiden, auf miserable Weise mit einer regulären Armee und damit im Rahmen eines Staates, mit den (in- und ausländischen) Geheimdiensten des Staates im Krieg, mit seiner Militärpolizei und mit allen anderen staatlichen Handlangern zu kollaborieren.

Wir haben und werden nie etwas mit diesen Leuten zu tun haben, selbst wenn der Krieg vorbei ist, weil es einfach nicht möglich sein wird, vertrauensvolle Beziehungen zu denen aufzubauen, die beschlossen haben, diese absurden Wege zu verfolgen. Denjenigen, die uns sagen, dass wir uns nicht äußern können, «weil wir nicht unter den Bomben sind», antworten wir, dass es nicht unsere Gewohnheit ist, zum Schweigen gebracht zu werden, und dass man gerade dann, wenn man nicht unter den Bomben ist, einen klaren Verstand entwickeln muss und kann, um sich auf schlechtere Zeiten vorzubereiten und um so weit wie möglich zu vermeiden, die gleichen Fehler zu begehen, die andere gemacht haben.

Unsere Solidarität gehört denjenigen, die nicht aus freiem Willen an der Front sind, sondern aufgrund von Zwang. Allen Proletariern, die gezwungen sind, einen kapitalistischen Krieg zu ertragen, der nicht ihr eigener ist. Gleichermaßen lehnen wir die absurde Plattitüde ab, man müsse sich präventiv und unabdingbar gegen alle Abscheulichkeiten in der arabischen Welt aussprechen, wenn man den zionistischen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung kritisieren will. Wir werden nicht denjenigen in die Hände spielen, die versuchen, die Realität zu verdrehen, indem sie das aktuelle Massaker als einfache Verteidigung nach einem erleidenden Angriff darstellen. Der Versuch, die palästinensische Bevölkerung vom Angesicht der Erde zu tilgen, ist eine tägliche, strukturelle und strukturierte Aktivität, die seit Jahrzehnten andauert und ein «Organisationsprinzip» des Staates Israel ist. Wir alle wissen sehr wohl, dass dies so ist. Selbst diejenigen wissen das, die ihre pro-israelischen Positionen mit dem Vorwurf des Antisemitismus oder mit unserer paradoxen und unwahrscheinlichen Unterstützung der Führung von religiös motivierten politischen Organisationen verschleiern wollen. Wir sind der Meinung, dass die Verwechslung der Ursache mit der Wirkung ein Symptom einer Tendenz zur Relativierung und einer gewissen Unfähigkeit ist, die Fragen auf den Grund zu gehen. Wir sind davon überzeugt, dass das Aufkommen bestimmter autoritärer und reaktionärer Organisationen die gewaltsame Auswirkung von jahrelangem westlichem Übergriffe, Massakern und Gewalt in diesen Gebieten ist. So ist es in Palästina, so ist es in Afghanistan, so ist es im Irak, so ist es in Nigeria und so ist es in vielen anderen Gebieten, in denen der Westen immer seine dreckigen Hände ausgebreitet hat. Wir denken, dass bestimmte Phänomene der natürliche und brutale Ausdruck von Rachegefühlen, Wut und Vergeltung sind, die die Unterdrückten und Ausgebeuteten in dem Teil der Welt empfinden, den der Westen versklavt, vergewaltigt, terrorisiert, ausgehungert und besetzt hat. Anstatt sich nur von unserer bequemen Couch aus zu empören, während wir die Nachrichten auf unserem großen Smart-TV verfolgen, gegen die niederträchtigen Barbaren, die sich mit Flugzeugen in westliche Wolkenkratzer stürzen, die in einer Diskothek in einer der glamourösesten Hauptstädte Europas schießen und sich in die Luft sprengen, die sich mit Drachenfliegern auf diejenigen werfen, die fünf Kilometer vom größten Freiluftgefängnis der Welt entfernt vor Millionen verzweifelter Menschen tanzen gehen wollen, anstatt sich nur über diese Schrecken zu empören, wäre es wohl gut, wenn wir uns zumindest ein paar Fragen stellen würden. Damit wollen wir selbstverständlich weder wahllose Massaker an Zivilisten legitimieren oder – schlimmer noch – verherrlichen, noch die Gruppen, Organisationen und Individuen anstacheln, die diese Blutbäder durchführen (wir halten es für paradox, darauf hinweisen zu müssen, aber gut, ist es so); wir wollen unmissverständlich klarstellen, was wir unter Vertiefung und Analyse der Realität verstehen.

Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass bestimmte Positionen bei der reformistischen Internationale starke Bauchschmerzen hervorrufen, aber wir sind der Meinung, dass es kontraproduktiv, kurzsichtig und energiefressend ist, sich im Namen einer krampfhaften Suche nach einer illusorischen Einheit der Bewegung zu mäßigen. Wir sind im Gegenteil davon überzeugt, dass klare Worte und Kohärenz nützliche Instrumente sind, um sich in der feindlichen Welt um uns herum zu orientieren.

Mit diesen Ideen im Kopf und in diesem Geist haben wir beschlossen, La Tempesta zu übersetzen. Denn wir glauben, dass der palästinensische Zwischenfall im globalen Krieg eine Stellungnahme von uns Anarchistinnen und Anarchisten erfordert. Eine Stellungnahme, die weder mit Neutralität noch mit direkter Intervention vor Ort gleichgesetzt werden kann. Es geht also nicht darum, zu den Waffen zu greifen und in Palästina zu kämpfen, geschweige denn die Gründung eines palästinensischen Staates auf den Trümmern des israelischen Staates zu unterstützen. Es geht um revolutionäre Solidarität unter den Unterdrückten. Es geht darum die Niederlage der Unterdrücker anzustreben, indem wir uns zuallererst gegen „unsere eigenen“ Unterdrücker wenden und entsprechend handeln. Nicht auf abstrakte oder symbolische Weise, sondern mit aller Konkretheit und Unnachgiebigkeit, derer wir fähig sind.

Wir sind auch davon überzeugt, dass der Austausch von Inhalten und Treffen auf internationaler Ebene ein kleiner Schritt in eine Richtung sein kann, die wir als dringend und wichtig erachten. Es geht darum, Affinitäten zu schaffen, die in eine Bewegung münden können, die in der Lage ist, die Kriegsmaschinerie mit all ihren Verzweigungen zu untergraben. Wir haben keine fertigen Rezepte um den Kriegsapparat zu stoppen; im Gegenteil, wir sind es gewohnt, uns vor denen in Acht zu nehmen, die versuchen, sie uns zu verabreichen. In dieser Hinsicht halten wir eine Ausweitung der Debatte für wünschenswert und grundlegend. Wir sind davon überzeugt, dass die – auch harte – Konfrontation zwischen Individuen und erst recht zwischen Genossen und Genossinnen eine wertvolle Gelegenheit zum Wachstum darstellt. Durch Kenntnis und Entschlossenheit ist es möglich, Wege zu finden, konkret und ohne Rhetorik in die uns umgebende Realität einzugreifen. Versuchen wir, die Chancen, die sich uns bieten, nicht zu vergeuden.