Text von expandiendo la revuelta, die Übersetzung ist von uns.
Einige Reflexionen rund um die anarchistische Edition und die demokratische Rekuperation.
Eröffenung der Bibliothek in Caza Zaragoza am 19. Juni 2021.
Von Expandiendo la Revuelta.
„Zweifellos wird man sagen, dass alle Werkzeuge auf unsere Freiheit abzielen, da sie die Instrumente einer möglichen Aktion sind und dass das Kunstwerk in dieser Hinsicht nicht spezifisch ist. Und es ist wahr, dass das Werkzeug der verdichtete Umriss einer Operation ist. Aber es bleibt auf der Ebene des hypothetischen Imperativs: Ich kann einen Hammer benutzen, um eine Kiste zu nageln oder um meinem Nachbarn den Kopf einzuschlagen. Für sich betrachtet ist ein Werkzeug keine Voraussetzung für meine Freiheit, es stellt mich nicht vor sie, sondern versucht, ihr zu dienen, indem es die freie Erfindung von Mitteln durch eine geordnete Abfolge von traditionellen Verhaltensweisen ersetzt.
Das Buch dient nicht meiner Freiheit: Es verlangt sie. In der Tat wäre es nicht möglich, sich der Freiheit als solcher durch Druck, Faszination oder Flehen zu nähern. Um sie zu erreichen, gibt es nur ein Verfahren: sie zunächst anzuerkennen und ihr dann zu vertrauen; kurz gesagt, von ihr einen Akt im Namen ihrer selbst zu verlangen, d. h. im Namen des Vertrauens, das man ihr entgegenbringt. Auf diese Weise ist das Buch nicht wie das Werkzeug ein Mittel mit einem bestimmten Ziel; das Buch schlägt die Freiheit des Lesers als sein Ziel vor“.
Die Eröffnung einer Bibliothek ist immer ein Ereignis, das uns mit Freude erfüllt, vor allem, wenn sie mit Verbindungen und Forderungen einhergeht, die auf eine kritische und antiautoritäre Sichtweise setzen.
In unserem Fall, als anarchistischer Verlag, glauben wir, dass es notwendig ist, durch die Veröffentlichung von Material und vor allem durch die Reflexion über das, was wir als eine Reihe von Debatten über den Zweck von Propaganda und ihre anarchistische Positionierung betrachten, einige Beiträge zu leisten.
Wenn wir kurz auf die umfangreiche anarchistische Geschichte in Buenos Aires zurückblicken, war die Veröffentlichung von Lesematerial eine der Säulen, von denen aus Treffen und gemeinsame Affinitäten projiziert wurden, in diesem Sinne die Veröffentlichung von Publikationen, von der ersten Großauflage „El perseguido“ im Jahr 1890, über „La Protesta“, die 1897 begann, oder „La antorcha“ im Jahr 1921, Sie hatten aber nicht nur die „Funktion“, eine Botschaft zu vermitteln oder ein „Ideal“ zu teilen, sondern informierten auch über Treffen und Aktivitäten, sammelten Spenden für die lokale Bevölkerung oder Gefangene und stellten Verbindungen zwischen den verschiedenen Publikationen und Räumen her. Auf diese Weise leisteten die anarchistischen Verlage, die keine zentrale Organisation oder irgendeine Art von Anführer hatten, einen Beitrag sowohl „innerhalb“ als auch „außerhalb“ der Bewegung, und obwohl es immer wieder Differenzen gab, können wir heute die Geschichtlichkeit, die Debatten und Spannungen genau aus diesen Archiven heraus nachvollziehen und sie so in der Gegenwart nutzbar machen.
Der 1961 gegründete Verlag Reconstruir hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Reihe von Netzwerken und Räumen wiederzubeleben, die zunächst durch die Diktatur der 1930er Jahre und dann durch den peronistischen Vormarsch unter Repression gelitten hatten, auf diese Weise funktionierte Reconstruit, sowohl um klassiche Texte zu retten, wie auch um gegenwärtige Debatte der Zeit vorzuschlagen, die von der kubanischen Revoltuion, über den Existenzialismus, bis hin zum Krieg im Vietnam gingen. Wir können auch die Arbeit von „La Protesta“ während dieser Jahrzehnte und ihre konstante Funktion der Aufrechterhaltung der anarchistischen Ideologie finden, sogar bis weit ins 21. Jahrhundert.
Diese Publikationen wurden jedoch während der letzten Militärdiktatur 1976 wieder eingestellt, und erst 1983 kam es zu einer neuen Welle von Ausgaben in Form verschiedener Anarkopunk-Fanzines und einiger Publikationen mit eher „gegenkulturellem“ Charakter, die die Bestrebungen der so genannten „neuen Linken“ unter einer gewissen anarchischen Ästhetik verbargen. An dieser Stelle wollen wir uns mit dem auseinandersetzen, was wir als eindeutige Absicht ansehen, anarchistische Ideen wiederzugewinnen, um auf verschiedene reformistische, akademische und sogar kommerzielle Absichten einzugehen.
Ganz allgemein können wir sagen, dass nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Repression der verschiedenen lateinamerikanischen Diktaturen in den 70er und 80er Jahren, der marxistisch-leninistische Horizont die vermeintlich revolutionären Hoffnungen mit seinen großen Armeen fallen sah, so kann von einer neuen Linken gesprochen werden, von „neuen Wegen, Politik zu machen“, und jeder Versuch, einen bewaffneten Aufstand zu fördern, wurde teilweise zunichte gemacht, wie zum Beispiel die von der gesamten „nationalen Linken“ diktierte Ablehnung der Übernahme der La Tablada-Kaserne im Jahr 1989 zeigt.
So gewannen die anarchistische Praxis und die anarchistischen Ideen für einige redaktionelle Bereiche wieder an Bedeutung und fanden verschiedene Annehmlichkeiten, zum Beispiel die Tatsache, dass es sich um eine Geschichte handelte, die bereits fast hundert Jahre alt war, d.h. viele Gefährt*innen hatten nicht die Möglichkeit, auf diese Visionen zu reagieren, und das bedeutete offensichtlich eine „Freiheit“ für viele Intellektuelle, Akademiker und demokratische Schriftsteller, die in der anarchistischen Geschichte einen Raum sahen, den sie ohne Ressentiments ausnutzen konnten.
Auf diese Weise finden wir eine Reihe von Menschen und staatlichen Räumen, die eine Rekuperation unserer Erinnerung (A.d.Ü., im Sinne der Geschichte) von einer staatsbürgerlichen und linken, ja sogar nationalistischen Perspektive aus betreiben und sogar behaupten, dass wir Teil der „argentinischen Geschichte“ sind. Von Dora Barrancos über Martin Caparros bis hin zu Cedinci finden wir eine klare Linie, die einerseits der Verharmlosung anarchistischer Ideen und Praktiken und andererseits der Verfolgung akademischer Karrieren in den Händen des Staates, d.h. auf der Suche nach Macht, vorgeworfen wird.
Das ist jedoch nur ein Teilaspekt der Situation, denn wenn wir den Blick auf andere Bereiche öffnen, finden wir auch staatlich finanzierte Filme und Theaterstücke, die uns einen klaren Versuch erkennen lassen, den Anarchismus von seinem aufständischen Inhalt zu entleeren, so wie es zum Beispiel in den letzten Jahrzehnten mit der Geschichte der verschiedenen indigenen Völker geschehen ist. Aus der Perspektive des Progressivismus und der Linken wird so die völkermörderische Geschichte des argentinischen Staates reingewaschen und einige bestimmte Personen werden als Sündenböcke benutzt, sei es Julio Argentino Roca, Oberst Varela, Videla oder Menem, während die indigenen Völker unaufhörlich verfolgt und die anarchistischen Räume geräumt werden und von Repression getroffen werden.
Damit wollen wir uns nicht selbst zum Opfer machen, sondern lediglich auf einen repressiven Prozess hinweisen, der einerseits mit der Kommerzialisierung und Trivialisierung der Anarchie und andererseits mit Inhaftierung und Mord hinter verschlossenen Türen und meilenweit entfernt zu tun hat.
Das wird auch an dem Etikett der „Eingeschleusten“ deutlich, das uns der Kirchnerismus und die Linke während des Verschwindens von Santiago Maldonado aufgedrückt haben, d.h. einerseits wurde eine Maske der „Solidarität“ , der „Gerechtigkeit“ aufgesetzt, und gleichzeitig wurden die Ideen von Lechuga (A.d.Ü., ein Spitzname von Santiago Maldonado) unsichtbar gemacht und eine politische Kampagne in seinem Namen durchgeführt, die sogar so weit ging, dass versucht wurde, einen Film zu veröffentlichen, der glücklicherweise sowohl in Buenos Aires als auch in verschiedenen Teilen Argentiniens boykottiert wurde.
Um noch einmal auf das Verlagswesen und die Propaganda zurückzukommen: Wir glauben, dass es heute mehr denn je notwendig ist, sich zu positionieren, da wir nicht wollen, dass anarchistische Ideen zum Konsum werden oder nur ein weiterer Raum, in dem sich Intellektuelle von der Nationalbibliothek aus sich gegenseitig einen runterholen, obwohl diese sicherlich auch weiterhin von staatlichen Institutionen finanziert werden, heute sind wir viel mehr von der Notwendigkeit überzeugt, unseren Gedankengut aus der Konsequenz zwischen Mitteln und Zielen zu festigen, so finden wir Publikationen und Verlage wie „Anarquista“, „Gatx Negrx“ oder „L’anomia“, und in jüngster Vergangenheit die Veröffentlichungen von „Abrazando el Caos“ oder die „Anarquía“-Ausgaben, um nur einige Beispiele zu nennen.
Deshalb geht es uns nicht um die Veröffentlichung von Büchern als Selbstzweck, obwohl uns das Spaß macht und es zweifellos ein Aspekt ist, in dem wir uns auch wohlfühlen, sondern als Mittel zur Revolte, vor allem aber für die anarchistische Bewegung und Räume. Auch wenn wir unsere Reflexionen nicht von einem erleuchteten Standpunkt aus denken, sind wir der Meinung, dass die Mittel viel mehr über die Ziele aussagen als die Titel, denn Anarchie findet sich nicht in den Büros der Macht und auch nicht in den vermeintlich „guten Absichten“ der heutigen Linken, sondern im praktischen aufständischen und autonomen Einsatz derjenigen, die sich als solche bekräftigen und mit ihren Worten einen Schritt weiter in Richtung sozialer Krieg gehen.